Thomas Pildner – Reise der Sinne

Künstlerporträt

Die Oberfläche ertasten, den Geruch des Materials wahrnehmen, das Gewicht des Holzes spüren und dabei die Lebensspuren des Baumes mit dem Blick erkunden – so darf man sich die Sinnesreisen von Thomas Pildner vorstellen, wenn er sich in seiner Werkstatt im hessischen Bad Homburg einem neuen Projekt widmet. Mit Herz und Verstand entwickelte der Holzkünstler die Formensprache seiner Arbeiten stetig weiter. Seine neuesten Designs zeigen sich als massive, archaische Gefäßobjekte, die den Betrachter mit ihren ausgefallenen Formen und Oberflächen dazu einladen, die Kunstwerke nicht nur wahrzunehmen, sondern auch zu begreifen.
Doch bevor Pildner sein Schaffen auf die Holzkunst fokussierte, lag bereits ein halbes Arbeitsleben als Manager eines namhaften Unternehmens der Luftfahrtindustrie hinter ihm. Seine frühere Tätigkeit, bei der er mit Geschäftszahlen jonglierte und einem straffen Zeitplan unterlegen war, könnte kaum in einem größeren Kontrast zu seiner heutigen Passion stehen. Das Drechselhandwerk entdeckte er aber tatsächlich auf einer Geschäftsreise für sich: 1992 durchstreifte er während eines mehrwöchigen Aufenthalts in Neu-Delhi die Stadt, um sich ein Bild von Land und Leuten zu machen. Dabei wurde er auf einen Drechsler aufmerksam, der auf einer unkonventionellen Drehbank kleine Holzschalen fertigte. Er verweilte eine kleine Ewigkeit und schaute dem Handwerker gebannt zu. Diesen Moment bezeichnet Pildner als entscheidenden Wegpunkt für seine Drechslerlaufbahn. Er begann, sich zunächst auf eigene Faust mit dem Werkstoff und der Bearbeitungsmethode auseinanderzusetzen und machte so seine ersten Drechselerfahrungen. Als er Peter Gwiasda kennenlernte, buchte er spontan seine ersten Wochenendkurse, später folgten weitere Lehrgänge bei Mike Tingey sowie dem Bildhauer Eberhard Müller-Fries. Rückblickend ist Pildner überaus dankbar, dass sich ihm die Möglichkeit eröffnet hat, sich beruflich noch einmal völlig neu zu orientieren. Denn nicht vielen Menschen sei es vergönnt, durch inspirierende Begegnungen, Ermutigungen und Zuspruch einen kreativen und erfüllenderen Weg einzuschlagen. 2010 nahm die Drechselkarriere des Hessen mit der Eröffnung seiner eigenen Werkstatt dann Fahrt auf.
Die Basis für innovative Ideen liegt für Pildner in der Tradition. Seine Arbeit basierte jahrelang auf der Herstellung von Hohlgefäßen. Nachdem er Hunderte klassische Gefäße ob dünn- oder dickwandig in Quer- und Hirnholz gedrechselt hatte, war es für ihn eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis sich der Drang äußern würde, etwas Neues ausprobieren zu wollen. Vor einigen Jahren erhielt er den Stamm einer 200 Jahre alten Eibe mit einem sagenhaften Durchmesser von 70 Zentimetern. Ehrfürchtig und mit Respekt machte er sich ans Werk. Als er jedoch begann, die Innenform auszuarbeiten, musste er seine Arbeit jäh unterbrechen. „Das Holzbild hat mich regelrecht gestoppt“, erklärt der Künstler. Diese Erfahrung war für Pildner der ausschlaggebende Impuls, sich künftig noch genauer mit den von ihm als Lebensspuren bezeichneten Eigenheiten des Holzes auseinanderzusetzen.
Pildner löste sich peu à peu von seiner bisherigen Arbeitsweise und ließ sich von seiner Intuition leiten. Zunächst konnte man herausragend bearbeitete Oberflächen auf seinen Schalen und Gefäßen bewundern, die immer massiver wurden und sich von den dünnen, nassgedrehten Arbeiten abhoben. Die aktuellen Arbeiten setzen sich zu gleichen Teilen aus gedrechselten sowie bildhauerisch gestalteten Elementen zusammen und entwickelten sich vom Gebrauchsgegenstand hin zum Kunstobjekt – Praktikabilität und Funktionalität traten dabei immer weiter in den Hintergrund. Den Meilenstein für seine neue Art der Holzkunst legte 2018 ein großes, massives Gefäßobjekt aus Mammutbaum, für das ihm der Hessische Gestaltungspreis verliehen wurde. Diese Auszeichnung beflügelte Pildner, die eingeschlagene Richtung beizubehalten.

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